Dienstag, 1. Dezember 2015

Sprache als Gefühl



Der deutsche Sprachgebrauch in der Gesellschaft ist sehr oft erschreckend schlecht. Sowohl im mündlichen als auch im schriftlichen Gebrauch. So verwenden viele Menschen eine falsche Steigerungsform des Wortes „einzig“. Genauso wird dem Wort „eben“ fälschlicherweise gern ein D angehängt oder dem Wort „gern“ ein E. Mit der Kommasetzung braucht man gar nicht erst anfangen.

Und bei den allabendlichen Worte der Tagesschausprecher „Und nun der Wetterbericht für morgen, Dienstag, den 31. November 2015.“ kommen nur wenige Leute ins Grübeln. Einigen fällt vielleicht der Fehler auf, dass es keinen 31. November gibt. Jedoch ist den Zuschauern dieser tagtägliche Spruch derartig ins Blut übergegangen, dass sie gar nicht mehr reflektiert zuhören und ständig das Datum im Akkusativ verwenden. Schließlich macht das die Tagesschau ja auch so. Und was die Tagesschau macht, kann nicht falsch sein, so viele Zuschauer. Folglich muss das Datum immer im Akkusativ stehen. Der Glaube an die wenig fehlerbehaftete Tagesschau ist lobenswert, jedoch sind der blinde Glaube und die blinde Übernahme nicht angebracht.

Doch wie wäre es, wenn die Sprecher einmal vorlesen würden: „Es folgt der Wettervoraussage zum morgigen Dienstag, dem 01. Dezember 2015.“ Ja, der Akkusativ ist dem Dativ sein Tod, um einen populären Ausspruch abgeändert zu verwenden.

Dass Präpositionen wie „mithilfe“, „aufgrund“ oder „wegen“ den Genetiv verlangen, ist längst vergessen. Mittlerweile verschwindet gerade der Dativ. Im Vergleich zur englischen oder französischen Sprache ist das vielleicht eine normale Entwicklung. Doch kaum einer weiß, dass Präpositionen wie „mit“, „nach“, „an“, „bei“, „seit“, „von“, „zu“ und „aus“ den Dativ erfordern. Und wenn vor einem Datum dann eine solche Präposition steht, muss ein Dativ dort stehen. Nicht dass Individuum legt die Regeln der Sprache fest, sondern die Mehrheit. Also heißt es richtigerweise: „Am Sonntag, dem dritten Advent, dem 13. Dezember 2015.“

Aber genauso gibt es Präpositionen, die den Akkusativ erfordern. Diese lauten folgendermaßen „durch“, „für“, „ohne“, „um“, „bis“ und „gegen“.

Und wenn gar keine Präposition vor einem Datum steht, so steht die Tagesanzeige im Nominativ. Etwa: „Hamburg, der 01. Dezember 2015“.

Als Eselsbrücke könnte man sich merken: Bilde einen Satz aus den Gliedern „Karl der Große“, „erschießen“ und „das Reh“. In der Logik der Leute mit falschem Sprachgebrauch hieße der Satz: „Karl den Großen erschießt das Reh.“ Dabei können Rehe nicht einmal zielgerichtet schießen. Denn dazu fehlen ihnen Hände und besonders die Daumen.

Doch nicht nur mancher Sprachgebrauch ist oftmals falsch. Auch viele Worte werden falsch gebraucht, weil den Sprechern neben orthographischen und grammatikalischen Kenntnissen weitere grundlegende Bildung fehlt. Und so möchte ich simplicistisch und so minimalistisch wie möglich in meinem positivistischen Weltbild sagen, dass die Welt weniger Materialismus von determinierten Kapitalisten und dafür mehr Idealismus braucht.

Dazu ein paar Erklärungen:

1. Es gibt kein Wort wie „simplicistisch“ in der deutschen Sprache. Der Simplicissismus war eine satirische Wochenzeitschrift von 1896 bis 1944.

2. Das Wort „minimalistisch“ beinhaltet auch nicht „geringfügig“ oder „kleinstmöglich“. Der Minimalismus war eine Strömung in den bildenden Künsten der 1960ern.

3. Der Positivismus hat nichts mit guten Absichten oder mit Gutmenschen zu tun. Der Positivismus ist eine historisch längst überholte Strömung in der Philosophie des 19. Jahrhunderts. Laut Positivismus hat jede Erscheinung seine visuellen Ursachen. Demnach ließen sich Verbrecher anhand ihrer Physiognomie als Verbrecher erkennen. Jedoch sollte jedem modernen Menschen klar sein, dass man Menschen nicht aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbilds abstempelt.

4. Genauso hat der Materialismus nichts mit Raffgier zu tun. Der Materialismus ist ebenfalls eine philosophische Position. Der Materialismus beinhaltet Fragen nach Vorgängen unter Berücksichtigung von kausalen Zusammenhängen. Demnach gibt es immer irdische Zusammenhänge. Der Mensch ist folglich durch das Sein bestimmt.

5. Dagegen vertritt der Idealismus einen vollkommen anderen Ansatz. Im Gegensatz zum Materialismus ist der Mensch nach idealistischem Gesichtspunkt Objekt und durch sein gottgegebenes Bewusstsein bestimmt. Insofern hat der Idealismus nichts mit einem positiven Menschenbild zu tun.

6. Und wie Materialismus und Idealismus ist der Determinismus auch eine philosophische Richtung. Der Determinismus setzt alle Ereignisse als vorbestimmt voraus und hat nichts mit Beschränktheit zu tun. Dass nach Donnerstag, dem 31. Dezember 2015, Freitag, der 01. Januar 2016, folgt, ist sicherlich keine gewagte These. Aber kann man sich dessen jemals gewiss sein?

Wenn man also einfach und nicht simplicistisch sprechen will, dann sollte man nicht vermeintliche Lehnwörter verwenden. Das soll nicht minimalistisch sein, sondern vielmehr ohne Großspurigkeit vermeintlicher Bildung. Das hat nichts mit Negativismus zu tun, weil es diesen genauso wenig wie die landläufige Definition vom Positivismus gibt. Das alles ist nicht unbedingt eine Frage von Materialismus oder Idealismus, trotzdem bewirkt dieser Beitrag hoffentlich vielleicht etwas. Das hätte dann durchaus materialistische Folgen. Und wenn dieser Beitrag nichts bewirkt, dann sind zwar viele Menschen nicht determiniert, doch zumindest beschränkt. Dann hilft nur noch Gottvertrauen der Idealisten.

Diese Beispiele des falschen Sprachgebrauchs verdeutlichen offensichtliche Bildungsdefizite. Das Leitmotiv an deutschen Schulen, in denen Sprachkompetenzen vermitteln werden sollte, lautet: „Sprich, wie Du Dich fühlst!“ Als ob Sprache ein Gefühl sein könnte!? Sprache ist ein Instrument zum Ausdruck von Gefühlen.

Und auch der Verweis auf den ständig andauernden Sprachwandel ist nicht unbedingt angebracht. Sicherlich ist es normal, dass die Fälle Genitiv und Dativ aussterben und irgendwann nur der Nominativ und Akkusativ bestehen bleiben, oder dass starke Verben den weichen weichen müssen. Jedoch macht die Steigerung mancher Adverbien trotz Sprachwandels keinen Sinn. Können „tot“ oder „einzig“ gesteigert werden? Dieses Beispiel entkräftet das saloppe Argument des Sprachwandels.

Selbst Akademiker sind vor den genannten Fehlern nicht gefeit. Viele steigern die Einzigartigkeit, indem sie das Wort „einzigstes“ fälschlicherweise gebrauchen. Und genauso verwenden viele Akademiker die Worte wie Materialismus, Idealismus, Positivismus und Minimalismus falsch. Das zeugt vom geringen Bildungsniveau vieler Studiengänge. Beinhalteten früher Hochschulbildungen noch umfassende Kenntnisse und Bildung, sind diese nicht mehr zwingend erforderlich. Wieso auch? Wozu braucht ein Mediziner auch philosophische Kenntnisse? Schließlich soll er ja lediglich das Leiden lindern und nicht mit dem Patienten ein philosophisches Duett eröffnen.

Dennoch ist ab und an ein Blick in ein Wörterbuch wie dem Duden, der übrigens auch online abrufbar ist, oder in ein Lexikon angebracht. Manche Passagen im Duden sind sogar so gut, dass man davon einfach nicht loskommt und diese immer wieder erneut lesen muss. Damit ist der Duden eine weitaus bessere Lektüre als viele andere Klassiker.
Sprich also, wie Du Dich fühlst?! Aber bitte richtig!

Die protestantische Ethik und der kapitalistische Geist (Max Weber)



Seit etwas mehr als 110 Jahren ist die Max Webers Abhandlung „Die protestantische Ethik und der kapitalistische Geist“ ein Klassiker. Es ist ein viel beachtetes und viel diskutiertes Werk. Dabei war der Soziologe nicht der Erste, der eine Kausalität zwischen protestantisch-asketischer sowie methodischer Grundhaltung und kapitalistischer Entwicklung erkannte, so der Soziologe Dirk Kaesler. Selbst wenn man die zahlreichen Werke von Karl Marx und Friedrich Engels irgendwie zusammenklamüsert, sticht ein Zusammenhang zwischen der kapitalistischen und protestantischen Entwicklung hervor. Insofern hat Kaesler recht, dass Webers Aufsatz nicht als Gegenentwurf zu den Thesen von Marx und Engels gewertet werden könne. Im Grunde genommen widersprechen sich die drei nicht einmal sonderlich. Lediglich eine Präzision nahm Weber vor, indem er zwischen „ökonomisch relevanten“ und „ökonomisch bedingten“ Erscheinungen unterscheidet. Doch letztendlich bediente sich Weber des Marxismus, weil er den Begriff des Kapitalismus verwendet. Marx und Engels waren nämlich die Ersten im deutschen Sprachraum, die im wissenschaftlichen Zusammenhang die Worte „kapitalistische Produktionsweise“, „Kapital“ und „Kapitalismus“ verwandt haben. Genauso erkannte Weber die These von Marx an, wonach Geld kein Kapital ist und es zur Vermehrung investiert werden muss. Und so gibt es viele, viele Parallelen zwischen Weber auf der einen Seite und Marx sowie Engels auf der anderen Seite.
 
Trotzdem gibt es Knackpunkte in Webers Theorie. So schreibt er, dass die protestantische Askese und Methodik den Kapitalismus bedingten. Sicherlich, der Kapitalismus konnte unter den gegebenen Umständen seinen Ausgang nur in den protestantischen Ländern Europas nehmen. Schließlich sorgte der Protestantismus für eine gewisse Befreiung des Menschen. Doch in Bezug auf die Entwicklung des Kapitalismus zeigen sich Ungenauigkeiten gegenüber den calvinistischen Niederlanden, dem lutherischen Hamburg, dem lutherischen Mecklenburg und dem evangelisch-unierten Pommern.

So gab es bereits im 15. Jahrhundert und damit vor der Reformation in den Niederlanden und in Hamburg frühe Anzeichen für kapitalistische Auswüchse. Und zwar in der Form eines Handelskapitalismus. Dagegen dümpeln Mecklenburg und Pommern noch immer vor sich hin. Es sind nur geringe Anzeichen von kapitalistischen Produktionsweisen in Mecklenburg und Pommern erkennbar, weil es einfach nicht industrialisiert ist. Dennoch ist Mecklenburg-Vorpommern dem Kapitalismus unterworfen, auch wenn es kaum Güter produziert.

Insofern stellt sich die Frage, wer was bedingte. Bedingten die evangelischen Konfessionen wie die Quäker, Methodisten und andere den Kapitalismus, wie es Weber behauptet? Oder bedingten kapitalistische Anfänge die Reformation?

Dass sich die Reformation besonders im Norden Europas und damit weit weg von Rom durchsetzte, ist nur allzu einleuchtend. Schließlich sind die britischen Inseln aufgrund ihrer strategisch günstigen Lage nur schwer militärisch bezwingbar. Und so entzogen sich England, Schottland und Wales dem Dreißigjährigen Krieg. Doch auch die skandinavischen Länder sind aus römischer Sicht schwer zu bezwingen. Schließlich sind auch sie weit entfernt und haben viel Wasser zwischen sich und Mitteleuropa. Außerdem war Schweden eh spät christianisiert, weshalb keine sonderliche Bindung an Rom ausgeprägt war.

Im Zuge des Dreißigjährigen Krieges kristallisierte sich dann die Vormachtstellung Schwedens im Ostseeraum heraus. Doch obwohl es Zwistigkeiten zwischen der schwedisch-protestantischen und der polnisch-katholischen Wasa-Sippe gab, war Schweden nicht auf Territorialgewinne erpicht, sondern auf die Beherrschung von küstennahen Handelszentren wie Bremen, das mecklenburgische Wismar, das lettische Riga, das estnische Tallinn und anderen Hansestädten. Insofern scheint der Protestantismus, als Mittel zur Durchsetzung des Handelskapitalismus zu dienen. Zumindest in diesem Fall. Auch in den Niederlanden und der Schweiz hatte der Protestantismus offenbar nur einen Zweck, indem er zur Befreiung vom habsburgisch geprägten Deutschen Reich diente. Also sollte man sich anschauen, wer den Protestantismus begründete und in welchen Regionen er sich durchsetzte.

Jan Hus müsste man eigentlich als ersten Protestanten schlechthin bezeichnen. Schließlich wurde er um 1369 geboren und starb 1415. Damit lebte weit vor Martin Luther (1483 bis 1546). Hus entstammte vermutlich der unteren Mittelschicht. Sein Vater soll nämlich Fuhrmann gewesen sein. Und so besuchte Hus die Lateinschule im damaligen Prachatitz. Später studierte er an der Prager Karls-Universität und war zeitweise dessen Rektor. Jedoch machte er sich als Theologe und Reformator einen Namen. Außerdem prägte er die tschechische Linguistik. Somit war Hus vielmehr ein böhmischer Separatist, als ein Theologe.

Martin Luthers Herkunft ist der Hus‘ ähnlich. Luther entstammte einer bürgerlichen Familie, weil sein Vater Mineneigner war. Auch Luther besuchte verschiedene Schule und studierte später die Sieben freien Künste (Septem artes liberales), Jura und anschließend Theologie in Erfurt.

Ein anfänglich großer Bewunderer Luthers war Thomas Münzer. Scheinbar entstammte auch er einer bürgerlichen Familie, wobei Friedrich Engels in seinem Werk „Die Deutschen Bauernkriege“ schrieb, dass sein Vater „ein Opfer der Willkür der Stolbergschen Grafen“ gewesen sein soll. Trotzdem besuchte auch Münzer später die Schule und studierte in Frankfurt an der Oder Theologie. Schulbildung und Hochschulstudium waren zur damaligen Zeit lediglich den höheren Klassen vorbehalten, und Begabtenförderungen gab es damals nicht.

Und auch Johannes Calvin entstammte dem Bürgertum. Sein Vater war kirchlicher Notar und Richter des Domkapitels Noyon. Und aufgrund der Herkunft seines Vaters nahm Calvin an dem häuslichen Unterricht der Adelskinder teil. Wie Luther studierte Calvin die sieben freien Künste, Jura und später Theologie an verschiedenen französischen Universitäten.

Huldrych Zwingli stellt ebenfalls keine Ausnahme dar. Sein Vater war oberster Dienstmann seines Lehnsherrn. Er wurde an der Lateinschule in Basel und Bern unterrichtet. Später studierte er Theologie in Wien und Basel.

Das sind die in Europa bedeutenden Reformatoren. Doch auch die in den USA bedeutenden Reformatoren britischer Abstammung wie John Wesley und George Fox stellen im Vergleich zu Hus, Luther, Münzer, Calvin und Zwingli keine Ausnahme dar. Wesley, der Begründer des Methodismus, entstammt einer Pfarrerdynastie und Fox, der Gründer der Quäker, einem bürgerlichen Elternhaus. Fox‘ Vater war Wollhändler.

Insofern weisen Hus, Luther, Münzer, Calvin, Zwingli, Wesley und Fox die Anfänge eines bürgerlichen Bewusstseins auf, weil es ihrem gesellschaftlichen Stand entsprach. Schließlich bestimmt das Sein das Bewusstsein.

Doch das sind nur Reformatoren. Wichtig ist auch, wo sich im Heiligen Römischen Reich die Reformation vor dem Dreißigjährigen Krieg vollzog. So etwa in Sachsen, wo sich die Reformation von Wittenberg aus verbreitete, bis 1527 die evangelisch-lutherische Kirche in Sachsen gegründet wurde. Sachsen und sein Kurfürst Friedrich der Weise wurden reich durch die Silberminen im Erzgebirge. Da ist es nicht verwunderlich, dass sich der Kurfürst schützend vor Luther stellte, schließlich drückte Friedrich damit seine Abnabelung vom Kaiser aus.

Die Hansestadt Lübeck war ebenfalls reich. Und von 1522 bis 1530 setzte sich auch hier die Reformation durch. Genauso Hamburg, das ebenfalls reich war und seit 1529 reformiert ist. Aber auch die Hansestadt Dortmund. Quellen aus dem Jahr 1296 sollen bereits den ersten Bergmann unter den Dortmunder Bürgern belegen. Im Jahr 1572 setzte sich dann die Reformation in Dortmund endgültig durch. Diese drei Hansestädte Lübeck, Hamburg und Dortmund erfuhren großen Reichtum durch den Handel. Insofern bedingte das beginnende Bürgertum die Reformation.

Und somit ist der Protestantismus nicht nur ein theologisches Bekenntnis oder eine Geisteshaltung, sondern genauso eine Befreiungsbewegung der frühen Neuzeit und des entstehenden Bürgertums. Bereits während der Reformation zeigten sich Anfänge eines entstehenden bürgerlichen Selbstbewusstseins, indem sich Bürgerkinder wie Hus, Luther, Münzer, Calvin, Zwingli, Wesley und Fox der Theologie zuwandten und diese mit ihren durchaus revolutionieren Ideen vereinten. Damit ist Webers Aussage, wonach manche protestantische Gruppierungen den Kapitalismus bestärkten und befeuerten, nicht gänzlich richtig. Genauso bedingte der frühe Kapitalismus die Reformation. So erhofften sich die Reformer durchaus eine gewisse Befreiung der Menschen. Diese Befreiung hatte verschiedene Schattierungen. Während Münzer sich eine vollkommene irdische Befreiung der Bauern erhoffte, definierte Luther die Freiheit im Glauben. Dagegen erklärte Calvin „ora et labora“ (bete und arbeite) zu seinem Leitmotiv, obwohl dieser Ausspruch von den katholischen Benediktinermönchen stammt. Damit definierte Calvin sein Verständnis von Freiheit, wonach der Mensch auf Erden Gott dient und Werke zu Gottes Ehre verrichtet. Dadurch erlangt der Mensch Freiheit, die sich im Jenseits abspielt. Calvins These kann man mit den Worten „Arbeit macht frei“ zusammenfassen. Jedoch ist dieser Ausspruch durch das Konzentrationslager Ausschwitz und den dort erfolgten Verbrechen schwer belastet.

Außerdem macht Arbeit nicht unbedingt frei. Dieser Ausspruch ist genauso falsch wie Angela Merkels Ausspruch: „Sozial ist, was Arbeit schafft!“ Auch dieses Bonmot in seiner unverwechselbar merkelschen Ausdrucksweise war bereits seit den „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten“ von Karl Marx widerlegt. Laut Marx beinhaltet Lohnarbeit Selbstentfremdung und kann somit nicht zur Freiheit oder etwas Sozialem führen.

Trotzdem scheiterten manche Befreiungsversuche der Reformatoren, während andere erfolgreich waren. Das lag einerseits an der Uneinigkeit am Freiheitsverständnis der Reformatoren. So hatten die reformatorischen Theologen oftmals keine einheitlich wissenschaftliche Definition von Freiheit, weil sie trotz gleicher sozialer Herkunft unterschiedlich geprägt wurden und verschiedene Absichten verfolgten. Außerdem kamen manche Freiheitsbewegungen zu früh, während andere rechtzeitig waren. So war Münzer zu früh und Luther dagegen rechtzeitig. Dennoch erbrachten die Reformatoren ihren historischen Verdienst, indem sie die Menschen sowie die restliche Weltlichkeit von der Kirche emanzipierten. Das schuf weitere Freiheiten, damit der Kapitalismus weiter verbreiten konnte. Allerdings ist es nicht verwunderlich, dass sich der Protestantismus in den oberen Klassen herausbildete. Ein Anzeichen also für das Aufkeimen eines bürgerlichen Bewusstseins. Denn damals gab es keine Laienbewegung und Gottesdienste wurden nicht in den jeweiligen Landessprachen abgehalten, sondern in Latein.

Die Grenzen des Liberalismus



Die Ausdifferenzierung nach Georg Simmel oder die Individualisierung nach Émile Durkheim scheinen noch nicht endgültig abgeschlossen, könnte man meinen. Dadurch wirken der Liberalismus grenzenlos und sein Siegeszug seit dem Untergang des Sozialismus 1990/1991 scheinbar unaufhaltsam. Und so gab es mit jeder Generation liberalere Menschen, weshalb vermeintlich aussätzige Minderheiten immer stärker inkludiert wurden. In den 1970ern und 1980ern erfuhren in der westdeutschen Gesellschaft die italienischen, spanischen und griechischen Gastarbeiter ihre rechtmäßige Aufwertung. In den 1990ern die polnischen Mitmenschen in Deutschland. In den 2000ern die Homosexuellen. Und in den 2010ern die Frauen. Bleiben nur noch die Muslime, Schwarzafrikaner und andere Minderheiten. Aber diese werden auch hoffentlich bald ihre legitime Emanzipation in unserer Gesellschaft erfahren. Doch was kommt dann? Wen kann man dann gleichberechtigen, wenn alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und alle Menschen die gleichen Chancen haben?

Manche versuchen bereits jetzt schon in der Gleichberechtigung der Tiere. Etwa die Grünen, Peta und Greenpeace. Doch das ist ein Irrweg. Schließlich beinhalten Rechte auch Pflichten. Und solange Tiere über kein Bewusstsein verfügen, können sie auch keine Rechte genießen oder ihren Pflichten nachkommen. Ein anderer falscher Weg wäre die Egalisierung der Pädophilie, was mittlerweile auch Bündnis‘90/Die Grünen erkannt haben. Wen kann man also bald noch gleichberechtigen?
 
Der Liberalismus scheint, unter den gegebenen Umständen an seine natürlichen Grenzen zu stoßen. Denn irgendwann werden alle Menschen vor dem Gesetz gleich sein. Trotzdem stößt damit die Menschheit nicht an ihre natürlichen Grenzen.

Doch dass der Liberalismus irgendwann an sein Limit gerät, ist mittlerweile absehbar. Ein Beispiel: Jeder Politiker in der Welt bekennt sich zu den Menschenrechten, auch wenn dieser diese unveräußerlichen Rechte nicht beherzigt. Und zu den Menschrechten zählt unter anderem das Recht auf Freizügigkeit. Freizügigkeit hat im Deutschen zweierlei Bedeutungen. Auf der einen Seite kann es etwa Frivolität, Gewagtheit oder Großzügigkeit bedeuten. Doch diese Dimensionen werden von den Menschenrechten nicht tangiert. Auf der anderen Seite kann Freizügigkeit auch das Recht auf freie Mobilität beinhalten, also das Recht auf freie Reise.

Aber darf man dieser Welt tatsächlich frei reisen? Als Europäer ist das sicherlich vergleichsweise einfach. Sicherlich besteht in manchen Ländern Visapflicht. In anderen Staaten kriegt man bei Reisen staatliche Aufpasser zur Seite gestellt. Trotzdem stellt das keine Begrenzung der Reisefreiheit dar. Europäer können überall hinreisen.

Damit geht es den Europäern weitaus besser als vielen anderen Menschen. Denn Bewohnern aus der sogenannten Dritten Welt ist es nicht unbedingt gestattet, in andere Staaten zu reisen. Das erfordert oftmals ebenfalls ein Visum. Diese kosten Geld, weshalb viele reisewillige Menschen bereits an dieser Hürde scheitern. Gleichzeitig wird bei Visaanträgen nach dem Grund der Reise gefragt, weshalb erneut viele Menschen scheitern.

Dieser Sachverhalt thematisiert nicht die große Flüchtlingswelle auf Europa. Trotzdem verdeutlicht er sehr gut, dass der Liberalismus seine natürlichen Grenzen hat, obwohl die unveräußerlichen Menschrechte weltweit gelten.

Außerdem verdeutlicht ein praktisches Beispiel, dass der Liberalismus sich nur mit der sozialen Emanzipation weiterentwickeln kann. Schließlich sind Staatsgrenzen lediglich Grenzen zur Wohlstandswahrung. Diese hatten sicherlich ihre Berechtigung, dennoch sind sie historisch in einer globalisierten Welt und in einem supranationalen Gebilde wie der Europäischen Union längst überholt. Schließlich verdeutlichen die Ursachen der immer noch andauernden Griechenlandkrise, dass notfalls auch über Staatsgrenzen hinweg mit zumindest bislang unlauteren Mitteln für sozialen Ausgleich gesorgt wird.

Und fielen nun endgültig die letzten Grenzen und erhielte damit die Freizügigkeit ihre Wahrhaftigkeit, führte das zu einer Weiterentwicklung sowie zu einer Belebung des Liberalismus‘. Doch wenn das nicht erfolgt, ist und bleibt der Liberalismus eine geradezu leere Hülse.