Samstag, 11. Oktober 2014

… und auf ewig das Chlorhühnchen



Heute war die bundesweite, sogar europaweite Kundgebung gegen TTIP, dem bevorstehenden US-amerikanisch-europäischen Freihandelsabkommen. Dazu hat die Aktionsbündnis „Campact“ eingeladen und zum Widerstand aufgerufen. Zu diesem Bündnis zählen die DGB-Gewerkschaften, die Grünen, die Linke, Attac, DKP und andere obskure Gruppen. Entsprechend komisch sind auch die Ziele von „Campact“: Asyl für Edward Snowden in Deutschland, Stopps für Fracking, Kampf gegen Überwachung. Begleitet werden sollte die Aktion durch die Medien. Wohin geht man also in NRW hin, wenn es eine Kundgebung gibt, die von wenigen Leuten besucht wird und gleichzeitig es in die Medien schafft? Münster!


Und tatsächlich. Maximal 150 Leute waren vor Ort. Einschließlich des Kameramanns des WDR. Den haute ich gleich an, ob er Volkes Stimme aufzeichnen wolle. „Ja!“ Deswegen erwiderte ich: „Dann nimm mich. Ich verspreche interessante Standpunkte!“ Als Beleg meiner Seriosität zeigte ich dem Kollegen meine Kampfente von Ver.di und wollte schon meinen Mitgliedsausweis herausholen. Da hat er abgewunken. Jedoch fragte er mich, worum es bei dem Investitionsschutz geht. Das machte mich etwas stutzig. Scheinbar hat er bislang immer nur vom Chlorhühnchen gehört.

Dazu meinte ich, dass uns als Arbeitnehmerorganisation das Chlorhühnchen vollkommen egal sein sollte. Kein US-Fleischproduzent wird seine Hühner über den Atlantik schicken. Außerdem ist die Desinfektion durch Chlor hygienischer als die europäische Variante der Reinigung. Das hat die Bundeszentrale für Verbraucherschutz bestätigt.

Auch die Haltung gegenüber dem Investitionsschutz ist nicht nachvollziehbar, sagte ich ihm. Beim Thema Investitionsschutz geht es um die Schiedsgerichte. Diese sind ein probates Mittel des Internationalen Privatrechts. Das findet man in allen bi- und multilateralen Wirtschaftsabkommen. Insofern ist die Haltung der Gegner gegenüber Investitionsschutz und Schiedsgerichten nicht konsequent. Daraufhin meinte der WDR-Mann, da kenne er sich nicht aus. „Das sei außerdem nicht interessant genug und gehe über einen Beitrag von 45 Sekunden hinaus.“ Ich fragte: „Für die Lokalzeit?“ Er bejahte. Also verabschiedeten wir uns und gingen auseinander. Für die profane Lokalzeit reicht das Thematisieren des Chlorhühnchens also, aber der demokratisch-politischen Meinungsbildung kommt der WDR nicht nach.

Bei der ganzen Kundgebung ging es aber allgemein sehr wenig um die Arbeitnehmerrechte, die jeden Menschen unmittelbar betreffen. Wenn das Minimum an Standards durchgesetzt wird, drohen US-amerikanische Verhältnisse. In den USA kennt man keine Betriebsräte und kein Betriebsverfassungsgesetz.

Stattdessen gab es schlechte Reden. Auch von Gewerkschaftern. Am peinlichsten für die Kundgebung muss die Rede von Michael Radau, dem Vorstandvorsitzenden des Super-Bio-Marktes, gewesen sein. Zuerst brachte er die Reihenfolge der Redner durcheinander und drängelte sich vor. Dann sprach er von Chlorhühnchen und genmanipulierten Produkten. Er hätte doch auch gleich von der Bühne herunterrufen können: „Kauft bei mir ein! Da gibt es nur Gutes!“ Die dortigen Arbeitsbedingungen sind egal und wurden auch nicht thematisiert. Mit solchen Sachen delegitimieren sich die Veranstalter der Aktion selbst, weil Radau nur um seine Umsätze fürchtete.

Eine halbwegs kritische Beleuchtung des gern propagierten Wirtschaftswachstums kam vom Vorsitzenden des DGB-Stadtverbandes Peter Mai. Allerdings ist er auch nur ein Grüner. Er sprach davon, dass Freihandel niemals Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätze geschaffen hat. Mit solch einer Argumentationslinie ließe sich auch die Leibeigenschaft und die deutsche Kleinstaaterei rechtfertigen, weil sie die Arbeit der Knechte gefährde. Und damit wäre die notwendige und erfolgreiche Industrialisierung ausgeblieben.

Viele Aspekte seiner Rede mögen zwar stimmen, aber der rote Faden fehlte. Deshalb eine schlüssige Erklärung meinerseits dazu: Wenn die Industriestandards angeglichen werden, führt das nicht automatisch zum höheren Absatz bei Volkswagen oder anderen Unternehmen, bloß weil die Lichter einheitlichen Industrienormen unterliegen. Wer einen oder zwei VW hat, kauft sich in der Regel keinen dritten. Und Industriegüter, die bislang sehr gut waren, könnten auch ohne Freihandelsabkommen bequem exportiert werden. Aber, na ja.

Und so frage ich mich, was die ganze heutige Aktion sollte. Die Aktion und die Redner waren blamabel. Kaum ein Passant fühlte sich angesprochen. Der WDR war nur an einer thematisch oberflächlichen Annäherung interessiert. Wenigstens weiß ich nun, dass ich beim Super-Bio-Markt einkaufen soll. Kaufen auch Sie dort ein. Die Arbeitsbedingungen sind dort nebensächlich. Hauptsache Michael Radau hat seinen täglichen Gewinn. Da ist TTIP ein günstiger Nebeneffekt.

Abschließend noch das Programm der Kundgebung:


Bühnenprogramm, Stand: 10.10.14, 17.30 Uhr

Name
Thema
Sonstiges
Dauer min
Zeit (Beginn)

Moderation
Eröffnung

10
12.00

Andrea Hellgermann, Attac
EBI, USA/EU
Globalisierungskritische Bewegung
10
12.15

Peter Mai
Arbeitsrechte in internationalen Verträgen
DGB-Stadtverband
10
12.30

Michael Radau
Ökologische Landwirtschaft
Inh. der Bio-Supermarkt-
kette
15
12.45

Joachim Hetscher
Musik: Politischer Liedermacher,
Gitarre und Gesang
Organisator des Woody Guthrie Festival in MS
20
13.00

Wilhelm Achelpöhler
Private Schiedsgerichte ohne  gesellschaftliche Kontrolle
Rechtsanwalt
10
13.30

Jürgen Blümer /Carsten Peters
Fracking / Kommunale Folgen des TTIP
Fracking und Kommunalpolitik
15
13.45

Andreas Hellgermann Interventionistische Linke
Krisenphänomene, Krisenproteste, soziale Bewegung

10
14.00

Ikaro
Musik aus den Anden
Panflöte und Gitarre
30
14.30

NN, Fossil Free
Postfossile Gesellschaft,
Degrowth, Divestment
Ausstieg aus Kohle, Öl und Erdgas
10
14.45

Ansgar Schmidt
Soziale und ökonomische Auswirkungen auf die Arbeiterklasse
DKP - Deutsche Kommunistische Partei
10
15.00

Tim Fürup, Helge Schnack, Linke/SDS
Demokratieabbau durch TTIP

10
15.15

Peugeot Noir
Musik von einem Land das keiner kennt.
Akkordeon und Gitarre
30
15.30

Martin Ramschulte
Industrielle Landwirtschaft kann keine Lösung sein, massenhafte Transport gleicher Lebensmittel über den Atlantik – wozu?
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL)
10
16.00

Stefan Hannay
11.10.2014 Weltweiter Frack-Down-Tag
Montagskundgebung:
Stoppt Fracking Weltweit
10
16.15


Jorge Hidalgo
Kunstperformance aus Kolumbien
Das mörderische Kartell der Globalisierung
30
16.30

Abschluss



17.00


 

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